Jede Landschaft hat ihre besondere Reize und Schönheiten. So auch das Bauland, jener Landstrich zwischen Odenwald und Taubertal gelegen. In diesem uralten Bauernland liegt Hettingen in einer Talmulde, von drei Seiten eingerahmt, dem Grohberg und Eulsberg im Norden, Höhe, Steige und Öberhölzle im Osten sowie Stöckig und Scheitel im Süden alles Erhebungen von über 400 Meter. Nach Westen hin wo sich das Tal öffnet, bahnt sich die „Morre" die im Ort entspringt, ihren Weg zum Odenwald, um sich bei Miltenberg mit dem Main zu vereinen.
Den Beweis, dass sich hier schon sehr früh Menschen in dem fruchtbaren Muschelkalkgebiet ansiedelten, belegen zwei Relikte aus der Vorzeit. Im Gemeindewald „Breitenbüschle" befindet sich das „Hünengrab" aus der Hallstattzeit etwa 600 v.Chr. Bereits 1894 wissenschaftlich durch den Reichslimeskommisär Prof. Schuhmacher untersucht, wurden zahlreiche Funde gemacht die im Landesmuseum Karlsruhe und Bezirksmuseum Buchen aufbewahrt werden.
Um 150 n. Chr. haben die Römer mit der Errichtung des Limes, hier ihre Spuren hinterlassen. Das Kleinkastell „Hönehaus" und drei Wachtürme im „Großen Wald" sind heute noch Zeugen dieses Welt-reiches. Die Grundmauern des 40 x 46 Meter großen Kleinkastells, erfuhren 1968 eine Neuvermörtelung, wobei man ein gut erhaltenes „Votivhäuschen" aus grauem Sandstein fand, das laut Inschrift den römi-schen Gottheiten „Bonis – Casibus" geweiht ist.
Die Christianisierung unseres Raumes erfolgte im 7. Jahrhundert durch das Bistum Worms. Bereits 742 wird der „Weingartengau" dem neu gegründeten Bistum Würzburg zugeordnet. In der langen und wech-selvollen Geschichte Hettingens, hat das Reichskloster und Fürstabtei „Lorsch" eine große Bedeutung. In deren Urkundenbuch dem „Lorscher Codex" wird Hettingen in der Zeit zwischen 774 und 835 acht Mal im Bezug auf Schenkung und Tausch erwähnt.
Der Eintrag der Ersterwähnung hat folgenden Wortlaut:
Geschenk des Albsuint unter Abt Gundeland und König Karl
„ Im Namen Gottes bringe ich, Albsuint, dem heiligen Märtyrer N (arzisius) eine Opfergabe dar. Als Eigentum auf ewige Zeiten schenke ich einen Acker im Gau Wingarteiba in der Hettichemer marca und einen Leibeigenen. Geschehen im Lorscher Kloster 11.Juni 774.
Eine ältere undatierte Urkunde Im Besitz des Kloster Fulda um 750 bezeugt ebenfalls eine Hettinger Schenkung.
Der seit 1235 bestehende Ortsadel ist Ende des 15. Jahrhunderts aus-gestorben. Als Erster, dieses niederen Adelgeschlechtes der „Edelknechte von Hettingen", wird ein Friedrich v. Hettinkeim genannt.
Der Würzburger Bischof Albrecht, erhob am 27.Mai 1353 Hettingen zur eigenen Pfarrei, durch Abtrennung von der Mutterpfarrei Bödigheim. Das Recht des Patronats und die Präsentation sowie Besetzung der Pfarrei mit Geistlichen, wurde dem Abt von Amorbach zugestanden.
An die Schreckenszeit des Dreissigjährigen Krieges 1618-1648, der auch in unserem Gebiet gewütet und die Bevölkerung hart getroffen hat, erinnert noch heute der „Schwedenstein" am „Breitenbüschle". Dort wurde am 27.Mai 1628 Markus Ruck aus Hettingen von Reitern erschlagen.
Infolge der territorialen und kirchlichen Neuordnung, zwischen dem Erzstift Mainz und dem Bistum Würzburg am 15.Mai 1656, wurde Hettingen mit noch 16 anderen Pfarreien dem Erzstift Mainz zuge-schlagen, während die kirchliche Zugehörigkeit weiterhin beim Bistum Würzburg verblieb. Bei dieser Konstellation blieb es bis zur Säkularisierung der geistlichen Fürstentümer. 1803 wurde Hettingen dem Fürstentum Leiningen zugeschlagen. Dieser Fürst übernahm als recht-mäßiger Nachfolger, nun alle Rechten und Pflichten, der aufgelösten Abtei Amorbach. Bereits schon 1806 wurde Hettingen dem neu errichteten Großherzogtum Baden zugeschlagen. Kirchlich wurde die Pfarrei 1827 dem neu errichteten Erzbistum Freiburg/Breisgau zugeordnet.
Die politischen wie auch kirchlichen Veränderungen änderten an der schlechten wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung nichts. Missernten, plündernde durchziehende Truppen, eine überdurchschnittliche Bevölkerungszunahme und hohe Abgabenlasten führten zu unvorstellbaren Armut und Hungersnöten. In dieser verheerenden Lage war es deshalb
nicht verwunderlich, dass auch im Revolutionsjahr 1848 einige Hettinger dabei waren, als in Buchen der Fruchtspeicher des Rentamtes geplündert wurde. Die badische Regierung förderte mit Kredit – und Zuschüssen jene Gemeinden, welche die Auswanderung ihrer armen Bevölkerung betrieben. Von Hettingen sind in der Zeit von 1842-1892 insgesamt 162 Personen nach Amerika ausgewandert.
Die Zurückgebliebenen versuchten verstärkt ihr Auskommen in der Maurerei zu finden. Schon 1858 wurden 72 Maurer gezählt. Der eigentliche Durchbruch der Verbesserung der Lebensqualität erfolgte mit dem Bahnbau Heidelberg –Würzburg. Nun zogen ganze Scharen von Maurern in die Städte Mannheim, Heidelberg, Frankfurt usw. und haben durch ihr Können, Fleiß und Tüchtigkeit sich und der Heimagemeinde einen guten Namen gemacht. Der damalige resolute Ortpfarrer Karl August Sauer, drückte die Schaffenskraft seiner Pfarrkinder um 1900 so aus:
„ Dem Heddemer ist kein Stein zu schwer, kein Baum zu hoch,
aber auch kein Faß zu groß"
So langsam zog sehr bescheidener Wohlstand in die Familien ein, wobei die Frauen auch einen erheblichen Anteil dazu leisteten. Die häusliche Arbeit und Kindererziehung, sowie ein Großteil der Feldarbeit hatten sie die Woche über zu erledigen, waren doch die Männer die ganze Woche über außer Haus. Jede Familie bewirtschaftete ihre Äcker, um so einigermaßen über die Runden zu kommen. Neben Hühnern, Ziegen (die Kuh des kleinen Mannes) waren auch noch Schweine täglich zu versorgen. Diese Lebensweise war bis in die sechziger Jahre alltägliches Geschehen bei den Handwerkerfamilien der Gemeinde.
Die furchtbaren zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts forderten von Hettingen einen unvergleichbaren, hohen Blutzoll. So sind vom I. Weltkrieg 65 Gefallene und 3 Vermisste und vom II. Weltkrieg 96 Gefallene und 37 Vermisste Altbürger und 10 Gefallene und 13 Vermisste Neu-bürger zu beklagen. Zum Gedenken der tapferen Soldaten und treuen Söhne der Gemeinde erinnert die Gefallenengedenkanlage „Kriegerhain" am „Oberhölzle" (1923) für die Krieger von 1914-1918 und das Ehrenmal an der Friedhofskapelle für die Soldaten des II. Weltkrieges 1939-45.
In der schwierigen Zeit vor, während und nach dem II. Weltkrieg war es nicht nur ein Segen für Hettingen sondern auch für den ganzem Umkreis, einen dem damaligen Regime trotzenden, kämpferischen uner-schrockenen, sozialkaritativen und weitblickenden Pfarrer in der Gemeinde zu haben.
Heinrich Magnani, seit Herbst 1935 Pfarrer in Hettingen, stand für seine Gemeinde wie ein Fels in der Brandung und war für seine ihm anvertrauten Schäflein ein Hort. In kurzer Zeit entstand ein neues Schwesternhaus mit Kinderschule, Nähschule und Borromäusbücherei (1937 eingeweiht). Er leistete vorbildliche Soldatenbetreuung während des Krieges. Magnani, der den anrückenden Amerikanern Ende März 1945 entgegen ging und Gnade für die Gemeinde erbat, hat durch die Verpfändung seines Lebens die Gemeinde vor der totale Zerstörung bewahrt. Durch diese Heldentat von Pfarrer Heinrich Magnani ist der Hettinger Bevölkerung viel Leid, Blut und Tränen erspart geblieben. Kommende Generationen sollten sich dieses Priesters und Hirten in großer Dankbarkeit erinnern.
Sein Bemühen um die Eingliederung der ankommenden Flüchtlinge und Heimatvertriebenen nach dem Kriege und Beseitigung der großen Wohnungsnot war beispielhaft. Mit der Gründung der „Notgemeinschaft Hettingen" 1945 legte er den Grundstein der späteren Baugenossenschaft „Neue Heimat" und den Bau der ersten Siedlung in Hettingen ( I. Bauabschnitt bereits 1948 bezugsfertig). Die Gründung und der Aufbau des Jugenddorfes Klinge bei Seckach war Pfarrer Magnanis zweites großes soziales Werk. Diese große Leistungen konnte Pfarrer Heinrich Magnani nur vollbringen, weil er sich auf seine Pfarrkinder verlassen konnte und die ganze Gemeinde mit aller Kraft hinter ihm stand. In Anbetracht seiner überaus großen Verdienste um Hettingen verlieh der Gemeinderat Pfarrer Heinrich Magnani 1969 anlässlich seines 70. Geburtstages die Würde zum ersten und bisher einzigen Ehrenbürger der Gemeinde Hettingen.
Mit dem Beginn des sogenannten „Wirtschaftswunders" fand ein gewaltiger Umbruch statt. Von 1965-1974 fand die Flurneuordung statt. Diese notwendige Feldbereinigung konnte jedoch die Aufgabe von vielen landwirtschaftlichen Betrieben im Haupterwerb nicht stoppen. Viele Bauern suchten sich Beschäftigungen in der Fabrik und im Baugewerbe als Haupterwerbsquelle, während die Landwirtschaft nur noch als Nebenerwerb betrieben wird. Hettingen entwickelte sich zu einer reinen Handwerker– und Wohnge-meinde. Der Ortsetter dehnte sich nach allen Seiten durch die Ausweisung neuer Baugebiete aus. Überall wurden Wohnhäuser gebaut, die fast alle durch die sogenannte Nachbarschaftshilfe entstanden sind. Urlaubsreisen bis dahin ein Fremdwort, wurden so langsam zur Wirklichkeit.
Wie so oft liegen Freud und Leid nahe beieinander. So war es auch im Jahre 1973 in Hettingen. In der Nacht vom 8.auf 9. Januar kam es am Ortsausgang der heutigen Römerkastellstraße zu einem grässlichen Busunglück, bei dem drei Hettinger, das Ehepaar Alfons und Anna Baier und Ludwig Petri tödliche Verletzungen erlitten und die anderen 40 Personen teils sehr schwer verletzt wurden. Auf spiegelglatter Straße war der Bus vom Eulsberg herab kommend gegen die Betonmauer des ersten Hauses (heute Haus Rösch) geprallt.
Den wohl größten Festtag erlebte die Kirchengemeinde St. Peter u. Paul am 17. Juni 1973. Der Hochwür-digste Herr Erzbischof Dr. Hermann Schäufele war nach Hettingen gekommen um unserem Landsmann, Diakon Gerd Knühl, der dem Orden der „Weißen Väter"- heute Afrika Missionare - angehört, in der Hettinger Pfarrkirche die Priesterweihe zu spenden.
Mit einer groß angelegten Festwoche vom 31. Mai bis 9.Juni 1974 beging die Gemeinde ihre 1200 Jahrfeier. Höhepunkt war zweifelsohne am Pfingstsonntag 2. Juni, der große historische Festzug mit über 300 in Kostümen mitwirkenden Hettinger. Die 1225 Jahrfeier 1999 wurde in ganz anderem Stile mit einer Fest-meile begangen, bei der sich die einzelnen Vereine präsentierten.
Im Zuge der Verwaltungsreform in Baden–Württemberg, wurde bereits 1972 die Landkreise Buchen und Mosbach zum Neckar-Odenwald- Kreis mit Sitz in Mosbach zusammengelegt. Die Gemeindereform trat 1975 in Kraft. Obwohl die Hettinger Bürger, sich bei drei Anhörungen mit jeweils über 90% gegen eine Eingemeindung nach Buchen aussprachen, war es dann im Herbst 1974 soweit. Der damalige Hettinger Gemeinderat hat der Vernunft folgend der Zwangseingemeindung vorgebeugt und den Weg frei gemacht zum freiwilligen Zusammenschluß mit der „Neuen Stadt Buchen” zum 1. Oktober 1974. Seit dieser Zeit ist Hettingen der größte der 14 Stadtteile. Bei der Neugestaltung der Ortsdurchfahrt, die von 1977 bis 1980 dauerte, veränderte sich das Ortsbild positiv. Kleine Anlagen sind an der freigelegten Morrequelle entstanden. Am Platz des bereits 1969 abgebrochenen Fachwerkrathaus hat der Heimatverein und die Ortschaftsverwaltung mit der Errichtung des Maurerbrunnens (1996) diesem einst so dominanten „Maurer Beruf" in Hettingen ein Denkmal gesetzt.
Ein großer Festtag für die Pfarrgemeinde St. Peter u. Paul Hettingen, war die 650 Jahrfeier, die am 6. Juli 2003 zusammen mit dem traditionellen „Odilientag" begangen wurde. Der emeritierte Erzbischof Dr. Dr. Oskar Saier Freiburg, der das Pontifikalamt die Festpredigt hielt, gab diesem Tag eine besondere Note.
Mit der Einweihung der Pfarrer Heinrich Magnani Gedenkstube am 28. September 2007, initiiert von der Interessengruppe „100 Jahre Pfarrer Heinrich Magnani”, künstlerisch gestaltet vom Hettinger Werbe-grafiker Jürgen Blatz, nimmt nun der erste und einzige Ehrenbürger von Hettingen die Stellung ein, die seiner Person in all seinen Facetten würdig ist.
Im Jubiläumsjahr 100 Jahre Kolpingsfamilie, kann Hettingen mit seinen rund 2450 Einwohner bereits auf 1234 Jahre der Ersterwähnung zurückblicken. So wie sich im Laufe der über Zwölfjahrhunderte Zeit und Menschen änderten, hat sich auch die Schreibweise des Ortsnamens vielfach geändert; so wird Hettingen 774 als Hettincheim, 1290 als Hettinkeim, 1303 als Hetenkein, 1395 als Hedickem, 1405 als Hettickeim, 1493 als Hedickein, 1599 als Hedigen, 1628 als Hettigen genannt und seit 1656 Hettingen in der jetzigen Schreibform.
Die wechselvolle Geschichte und die einzelnen Zeitepochen von Hettingen kann, um den Rahmen der vorliegenden Festschrift nicht zu sprengen, hier nur in Kurzform wieder gegeben werden. Und trotzdem ist daraus erkennbar, dass hier zu jedem Zeitraum Menschen am Werke waren, die der Heimat treu verbunden und aus erlittenen Schicksalsschlägen immer das Beste für sich und die Gemeinschaft gemacht haben.
So sieht sich auch die heutige Generation in die Pflicht genommen, in die Fußstapfen der Vorfahren zu treten. Hierbei tragen ganz besonders die Personen Verantwortung die in der Pfarrei, Gemeinde und den vielen Hettinger Vereinen Verantwortung tragen. Wenn jeder Dorfbewohner an seinem Platz, einen kleinen Beitrag zum Wohle der Allgemeinheit von Hettingen leistet, so übergeben wir an unsere Nachkommen eine liebe und lebenswerte Heimat die da heißt: „Hettingen".